Pressemitteilung

Presse-Mitteilung zur Verleihung des Kant-Weltbürger-Preises am 1. Oktober 2016:

Der Friedenszustand unter Menschen, die neben einander leben, ist kein Naturzustand (…) Er muß also gestiftet werden.“ Unter dieses Motto aus Immanuel Kants berühmter Schrift „Zum ewigen Frieden“ stellt die Freiburger Kantstiftung ihre diesjährige Verleihung des Kant-Weltbürger-Preises an die saudi-arabische Filmregisseurin Haifaa al Mansour und ihren iranischen Kollegen Jafar Panahi. Die Preisverleihung findet am 1. Oktober um 13 Uhr 30 in der Aula der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg statt. Laudatoren sind: Katrin Sandmann, die u. a. durch Dokumentarfilme über Iran und Saudi-Arabien bekannt wurde, und der renommierte Orientalist Prof. Dr. Udo Steinbach. Die Einführung hält der frühere Beigeordnete UN-Generalsekretär Hans-C. Graf Sponeck.

Die Filme der Preisträger „Das Mädchen Wadjda“ und „Taxi Teheran“ stellen aus Sicht der Juroren der Kant-Stiftung mutige Beiträge für ein friedliches, tolerantes und gleichberechtigtes inner- und zwischenstaatliches Zusammenleben von Menschen und Völkern in ihrer Unterschiedlichkeit dar. Beide Filme zeichneten sich durch ihre Menschlichkeit und ihren Humor aus, indem sie die oft entfremdeten Verhaltensweisen der Erwachsenen aus der Perspektive junger Mädchen hinterfragten und zugleich dem Publikum im Westen Einblick in die Gemeinsamkeiten und Unterschiede unserer verschiedenen Kulturen gewährten.

Dagegen fehlt es aus Sicht des Stiftungsvorstandes auf der politischen Ebene noch immer an mutigen und phantasiebegabten Friedenstiftern. Angesichts der Tatsache, dass einer der Preisträger, nämlich Jafar Panahi, wegen Berufs- und Ausreiseverbot den Preis nicht selbst entgegennehmen kann, appelliert die Kant-Stiftung dringend an die Führungen aller Staaten, die Freiheit ihrer Bürger - und insbesondere auch ihrer Künstler und Medienschaffenden - nicht durch Tabus, Verbote oder Sanktionen zu behindern, insofern diese sich in ihrem kritischen Engagement für ein friedliches Zusammenleben der Menschen in all ihrer Verschiedenheit einsetzen. Andernfalls werde diesen Völkern ein wichtiges kreatives Potential entzogen, welches sie langfristig aber lebenstüchtiger und zukunftsfähiger mache als eine „keimfreie“ und kritikunfähige Abschottung.

Wenn Immanuel Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft von einer „allgemeinen Menschenvernunft, worin ein jeder seine Stimme hat“ schreibe, so gehe er von der Universalität einer ‚Conditio humana‘ aus, die zu einem respektvollen Umgang miteinander verpflichtet, zugleich aber jedem Menschen das Recht abspricht, sich quasi als Stellvertreter Gottes auf Erden über seine Mitmenschen zu erheben. Es sei auch ein sehr kleinliches  Bild, das man sich von seinem Gott mache, wenn man glaube, ihn etwa durch Freiheitsentzug oder Todesandrohungen vor „Beleidigungen“ seiner Geschöpfe bewahren zu müssen. Vielmehr wecke dies den Verdacht, dass der Gottesglaube nur zur Tarnung eigener - zumeist männlicher - Machtinteressen missbraucht werden solle.

Dieser Machtmissbrauch, der menschliche Vernunft in eine Einbahnstraße zwingen möchte, führe heute - wie auch der neoliberale Ökonomismus westlicher Prägung - zunehmend zu einer Enttabuisierung von Gewalt als Mittel der Politik, zu Kriegen und Bürgerkriegen und letztlich zur Erosion von Staaten und einer mühsam vereinbarten völkerrechtlichen Ordnung, wie es der letzte Irakkrieg und die Bürger- und Stellvertreterkriege in Syrien und im Jemen auf furchtbarste Weise deutlich machten.

Mit der diesjährigen Verleihung des Kant-Weltbürger-Preises 2016 rufe man zugleich alle Konfliktparteien im Nahen u. Mittleren Osten und deren „Schutzmächte“ auf, die faktisch verlorene Legitimation ihrer Herrschaftsansprüche gegenüber der Zivilbevölkerung dieser Region durch praktizierte Humanität wiederherzustellen und aus dem Teufelskreis von Terror und Gegenterror auszusteigen. Es bedürfe aus europäischer Sicht einer Art neuen „Westfälischen Friedens“, damit „Der Prozess der Zivilisation“ (Norbert Elias) nicht endgültig zurückfalle in die Barbarei und eine Selbstzerstörung der Menschheit. - Statt Macht anzuhäufen, gelte es, sie klug zu delegieren. Institutionen, wie die UN, stünden dazu zur Verfügung und müssten entsprechend reformiert werden. Föderale Modelle zur Selbstbestimmung der Völker und ihrer sprachlich-kulturellen Gemeinschaften, wie etwa das der Schweiz, straften die Behauptungen von der Alternativlosigkeit gewaltsamer Interessenssicherung Lügen.

Die Veranstaltung am 1. Oktober sei ein Denkanstoß und ein Appell an die Mächtigen der Welt, ihre Souveränität dadurch unter Beweis zu stellen, dass sie die Unterdrückung und das Töten von Menschen beendeten. Nach I. Kant könne nur derjenige Herrschaft zu Recht, d.h. legitim, ausüben, der sich zunächst selbst Grenzen auferlege, bevor er sie anderen aufzuzwingen suche. Millionen von Kindern dieser Welt warteten, wie die Mädchen Wadjda oder Hana, (aus dem Film Taxi Teheran), auf eine solche Einsicht der über sie Herrschenden!

Freiburg, den 11. September 2016; Berthold Lange (Stiftungsvorstand)

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